KollegiatInnen
Katarzyna Adamczak (Assoziiertes Mitglied)
(Foto: UHH, RRZ/MCC, Mentz)
(Heraus)Forderung der Form
Die Shoah in neuesten polnischen Dramen
Die politische Wende von 1989 in Polen führte zu einer intensiven Auseinandersetzung mit bis dahin hauptsächlich aus ideologischen Gründen ungewollten und/oder verdrängten Themen. Hierzu gehörte auch die Shoah. Innerhalb der Literatur über die Shoah war das Drama eine eher marginale Gattung, die seit der Wendezeit allmählich an Bedeutung gewann. Heute steht das Drama für einen neuen Blick auf die Judenvernichtung: Der immer größer werdende zeitliche Abstand von der Shoah geht mit dem Zurücktreten einer vornehmlich in der Vergangenheit angesiedelten und von den Holocaust-Überlebenden geprägten Ästhetik zu Gunsten einer vergegenwärtigenden Perspektive jener nach dem Krieg geborenen Generationen einher.
Das Dissertationsprojekt setzt sich mit Dramen und Inszenierungen, die im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends entstanden sind (z. B. (A)pollonia von Krzysztof Warlikowski, Nasza klasa von Tadeusz Słobodzianek, Utwór o Matce i Ojczyźnie von Bożena Keff) und die sich stark für die Öffnung der neuen Denk- und Erinnerungsräume einsetzen, auseinander. Indem sie den Leser/Zuschauer mit für die Shoah-Narrative unkonventionellen Mitteln (u.a. Groteske, Ironie, intertextuelle Bezüge auf Romantik und absurdes Theater, Collage-Technik) konfrontieren, fordern sie ihn zugleich heraus. Außerdem fordert die Form des Dramas verstärkt durch die spezifische Tradition des Theaters in Polen gegen Schematisierungen anzugehen. Es wird daher der Frage nachgegangen, wie das Theater unter anderem durch die in der Aufführung tradierte Erfahrung der Zeugenschaft (Wiederholungsstrategien) und seine Tabu brechende Funktion einen neuen Zugang zu sonst verdrängten Themen ermöglicht. Gefragt wird zudem nach der künstlerischen dramen- bzw. theaterspezifischen Re-Konstruktion und Re-Präsentation der anamnestisch vermittelten historischen Ereignisse und deren Implementierung in die auf die Gegenwart bezogene/aktuelle Shoah-Narrative.
Kontakt: katarzyna.adamczak@uni-hamburg.de
Elias Berner (Assoziiertes Mitglied)
Soundtrack der Shoah? Gedenken, Provokation oder Trost.
Die Verfilmung der Shoah und des Nationalsozialismus wird disziplinübergreifend seit vielen Jahren diskutiert. Weitgehend unbeachtet blieb dabei bisher die Funktion der Filmmusik. In meiner Dissertation mache ich mich auf die Suche nach dem Sound, der die Nachstellungen nationalsozialistischer und antisemitischer Gewalt, Darstellungen des Todes, aber auch Momente der Auflehnung, des Entkommens und Überlebens, begleitet. Von besonderem Interesse ist hierbei die zwar vielfach problematisierte, aber nicht nur in der musikwissenschaftlichen Praxis weiterhin bestehende Unterscheidung zwischen Kunst- und Populärer Musik. Da es sich im Allgemeinen um Historienfilme handelt, ist auch die Frage interessant, wann historisch „korrekte“ Musik eingesetzt wird, um eine „authentische“ Klangkulisse zu suggerieren, und wann bewusst durch den Einsatz anachronistischer Musik ein Gegenwartsbezug hergestellt wird.
Schindlers Liste gilt als Meilenstein der filmischen Repräsentation der Shoah, und dient als solcher als Ausgangspunkt meiner Detailanalysen. Vorliegende Filmanalysen beschäftigen sich vor allem mit dem Spannungsverhältnis zwischen dem dokumentarischen und dem fiktionalen Charakter des Filmes. Meine Frage ist nun, wie die Funktion der Filmmusik, und insbesondere die Anwendung musikalischer und klanglicher Stereotypen, in diesem Spannungsverhältnis zu verorten sind. In der Folge untersuche ich, inwiefern die in Schindlers Liste zu hörenden, musikalischen und klanglichen Stereotype in späteren Produktionen weiterverwendet, abgeändert oder radikal gebrochen wurden. Inwiefern klingen – überwiegend für das deutsche Fernsehen produzierte – sogenannte „Dokudramas“, die Authentizität suggerieren und junge deutsche Durchschnittsbürger vorwiegend als Opfer des Nationalsozialismus zeigen, anders als der Film Inglourious Basterds, der (selbst)bewusst Geschichte verfälscht, um Rache an den TäterInnen zu nehmen?
Kontakt: berner.elias"AT"gmail.com
Dennis Bock (Assoziiertes Mitglied)
(Foto: UHH, RRZ/MCC, Mentz)
Literarische Störungen in Texten über die Shoah. Imre Kertész, Ruth Klüger und Liana Millu
Die literarischen Texte der Shoah-Überlebenden Ruth Klüger, Liana Millu und Imre Kertész stören. Das ist keine despektierliche Behauptung, sondern eine zu belegende These im Hinblick auf die Wirkungsentfaltung dieser Texte.
Der Begriff ‚literarische Störung‘ bezeichnet ein Konzept, das Störungen unter Zuhilfenahme literaturwissenschaftlicher und linguistischer Ansätze als Erwartungsbrüche und Wissensdivergenzen beschreibt. Dabei gehe ich von der These aus, dass die unter dem Begriff ‚Holocaust-Literatur‘ bezeichneten Texte (dominierende) Narrative, Motive und Figurensamples sowie Form-, Struktur- und Sprachkonventionen entwickelt haben, infolge derer sich leserseitige Erwartungen an einzelne Texte oder die gesamte Textart knüpfen. Kann oder soll ein Text diese Erwartungen nicht erfüllen, kann es zu einer Störung kommen. Anhand exemplarisch-vergleichender Analysen literarischer Störungen werden autorseitige Strategien des ‚Störens‘ sowie bei der Rezeption involviertes strukturiertes Wissen rekonstruiert.
Kontakt: dennis.bock"AT"uni-hamburg.de
Vera Bronn, Stipendiatin
The Writing of Self and History.
Jewish Historians’ Autobiographies in the Late Twentieth Century
A significant number of influential scholars of Jewish- and of Holocaust history have published autobiographies which are accounts of their experiences as Jews of the early twentieth century in Europe: George L. Mosse, Saul Friedländer, Walter Laqueur, Georg G. Iggers, Peter Gay, Herbert A. Strauss, Fritz Stern, Raul Hilberg, Gerda Lerner, Lucy Dawidowicz, Nechama Tec, Otto Dov Kulka, Jacob Katz, Avraham Barkai, Eric Hobsbawm, Susan Groag Bell, Evyatar Friesel, Felix Gilbert, Léon Poliakov, Dan Vittorio Segre, Pierre Vidal-Naquet, and many more. Even though they have been referred to here and there, these autobiographies have to date not been adequately studied.
Such neglect is rather surprising given the analytical potential of such texts for the history of historiography in the 20th and 21st century. In my dissertation I describe, interpret, contextualize, and classify the autobiographies of Georg and Wilma Iggers, Lucy Dawidowicz, Gerda Lerner, George Mosse, Fritz Stern, Jaakov Katz, Otto Dov Kulka, and Saul Friedländer in regard to their literariness and narrative structure, their positions on the relationship of history and memory, their assessments of historical scholarship and its fundamental epistomological questions. Moreover, since the experience of the Holocaust is part of all of these historians’ lives, its narrative integration and conceptual classification in their autobiographical writing may offer a hitherto unnoticed perspective on one of the central intellectual challenges of post-Holocaust Jewish existence – the question of how to comprehend the rupture in Jewish history that the Shoah denotes. Through historical, narratological, poetological, and hermeneutical analyses, this work shows that the many publications of autobiographies throw light on the options and the boundaries not only of Jewish life-writing but also of the writing of Jewish history in the twentieth century.
Kontakt: v.r.bronn"AT"gmail.com
Maria Chatzidimou
(Foto: UHH, RRZ/MCC, Mentz)
Parody, History and Memory in Cinematic Representations of the Holocaust
Taking the contemporary debates over postmodernism and history as a starting point, the dissertation aims to explore the possibilities of providing an alternative narrative of the past for Holocaust victims, using the cinematic screen as a canvas and parody as a tool. The theoretical spectrum of the dissertation is the multiple definitions and forms of parody within a postmodern framework of theory. The questions posed are oriented on how these forms of parody can be seen as a tool to understand the use of parody as a space of criticism, empowering narratives and possible intertextual relations. The study focuses on the way a transformation took place within the genre of parody relating to the Holocaust from the 1940s to the 2000s and the gradual shift in the representation of traumatic and quasi “historically accurate” narratives of escape to heroic alternative narratives; from a genre of silence to a genre of revenge. The transformation is examined under the scope of Jan Assmann’s division of memory into a cultural and a communicative one. The study is mainly based on the analysis of Alan Johnson’s 1982 remake of Ernst Lubitsch’s To Be or Not to Be (1942), Radu Mihaileanu’s Train de Vie (1998) and, finally, Quentin Tarantino’s Inglourious Basterds (2009).
Contact: chatzidimoumaria@gmail.com( chatzidimoumaria"AT"gmail.com)
Tobias Knickmann
(Foto: UHH, RRZ/MCC, Mentz)
Trauma und Identität ‒ Chaya Czernowins Kammeroper Pnima
Die Kammeroper Pnima (dt. Ins Innere, 1998/1999) der israelischen Komponistin Chaya Czernowin (geb. 1957) basiert auf der Romanvorlage Stichwort: Liebe (hebr. Orig. 1986, in dt. Übers. 1991) von David Grossman. In seiner fiktionalen Erzählung behandelt der Autor die traumatischen Folgen des Holocaust in Israel, die sich von den direkten Opfern auf die Generationen nach dem nazistischen Völkermord übertragen haben. Die Komponistin – selbst Kind Holocaust-Überlebender – transformiert dieses Thema in ihre ganz eigene Musiksprache.
In der Dissertation möchte ich zum einen die Wechselwirkungen zwischen den Ebenen Roman ‒ Trauma ‒ Oper analysieren und versuchen, diese Momente in den anhaltenden Diskurs über eine israelische ‚National-Musik‘ einzubetten sowie die Komponistin darin zu positionieren. Die übergreifenden Fragestellungen lauten: Welches sind die (musikalisch-) narrativen Mittel der Vergegenwärtigung von Trauma und Shoah? Wie wurde die Oper bisher in Szene gesetzt und rezipiert? Zum anderen möchte ich der Frage nachgehen, inwiefern die Schlagworte Identität und Individualität sowohl Pnima als auch das weitere Œuvre Czernowins prägen. Wie und warum thematisiert die Komponistin diese Aspekte in ihren Aussagen, in welchem Verhältnis stehen sie zu ihrer Musik und (inwiefern) beeinflussen sie ihr Verständnis vom Holocaust? Welche (außer-)musikalischen Einflüsse lässt ihre Musiksprache darüber hinaus erkennen?
Kontakt: tobias.knickmann"AT"gmail.com
Linda Krenz-Dewe (Assoziiertes Mitglied)
'(Fiktionale) Identitätskonstruktionen in deutschsprachigen Erzähltexten jüdischer Autorinnen der dritten Generation nach der Shoah'
Das Promotionsprojekt analysiert aktuelle Texte junger jüdischer Autorinnen (Ramona Ambs, Vanessa F. Fogel, Olga Grjasnowa, Katja Petrowskaja, Julyia Rabinowich, Channah Trzebiner) in Bezug auf Aspekte und Schreibweisen der identitären Verortung, worin die Shoah als 'zentrales Erinnerungsereignis' einen übergeordneten Stellenwert einnimmt. Die Auseinandersetzung mit weiblicher und jüdischer Identität im deutschsprachigen, mehrheitlich nicht-jüdischen Kontext ist das zentrale Sujet der ausgewählten Erzählliteratur, was auf eine unsichere, auszuhandelnde Positionierung im gesellschaftlichen und auch literarischen Feld verweist. Die identitären Suchbewegungen verlaufen zwischen Selbstbe- und Fremdzuschreibungen sowie zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Zudem öffnet der postsowjetische Hintergrund einiger der Autorinnen die literarischen Identitätskonstruktionen in Richtung multipler transkultureller Zugehörigkeiten und Differenzen, was Fragen nach 'dem Jüdischsein' heute noch komplexer werden lässt.
Drei zentrale Gemeinsamkeiten, die zugleich Schwerpunkte der Analyse sind, weisen die Texte dennoch auf: a) die Erfahrung, eine - teils in mehrerlei Hinsicht - 'Andere' zu sein, ist die Grundlage der identitären Konstruktionen; b) das Gedächtnis der Shoah sowie Prozesse der Migration lassen die Texte identitätskonstitutive Topographien des Erinnerns entwerfen; c) der weibliche Körper ist nicht nur Ort
vergeschlechtlichender Subjektivation, sondern auch Ort und Medium von (traumatischer) Erinnerung. Das mehrschrittige, diskursanalytisch, gedächtnistheoretisch und narratologisch perspektivierte Analyseverfahren folgt den vielfältigen Verweisungsstrukturen der Texte und zielt zugleich auf die Identifikation spezifischer erinnernder Schreibweisen - auch um diese im Verhältnis zur deutsch-jüdischen Literatur der ersten und zweiten Generation verorten zu können. 'Zwischenräume' der identitären Verortung in kultureller, sprachlicher und topographischer Hinsicht werden mithilfe des Bezugs auf Elemente der postkolonialen Literaturtheorie herausgearbeitet. Aufgrund der großen Nähe der Autorinnen-Biographien zu den textuellen Identitätskonstruktionen sind zudem Fragen der Autorschaft und Autofiktion von Relevanz für das Projekt, das sich in den Feldern der transkulturellen Germanistik als auch der kulturwissenschaftlich orientierten Jüdischen Studien verortet.
Lucie Kroulíková
(Foto: UHH, RRZ/MCC, Mentz)
Anwesend in Abwesenheit. Leerstellen als Kernelement der Shoah-Vergegenwärtigung
in der deutschsprachigen und tschechischen Gegenwartsliteratur
Der Genozid an den Juden während des Zweiten Weltkriegs hinterließ einen unermesslichen Verlust. Dieser kann als eine Leerstelle angesehen werden – in der Menschheitsgeschichte klafft aufgrund des unvorstellbaren Ausmaßes in gewisser Weise eine dunkle Lücke und das Leben vieler Menschen kennzeichnet aufgrund der erlittenen Verluste eine fatale Leere. Diese Leerstellen gilt es mit Bedeutung zu füllen: Sei es, um den Opfern ihre Namen zurückzugeben und ihrer individuell zu gedenken oder die Orte, die Zeugen der Gräueltaten wurden, vor dem Verstummen zu bewahren. Jede Repräsentation bzw. Darstellung der historischen Ereignisse muss dabei ihre Verankerung in der Vergangenheit überwinden, um den Geschehnissen trotz ihrer Abwesenheit Präsenz zu verschaffen und sie somit zu vergegenwärtigen.
Jede künstlerische Auseinandersetzung mit diesem Thema kämpft mit der Unmöglichkeit, einen angemessenen ästhetischen Weg zu finden, um das Geschehene darzustellen. Bezeichnenderweise wird das Thema der Shoah in der gegenwärtigen Literatur der sog. zweiten und dritten Generation nicht selten durch Schweigen und durch Leere unterschiedlicher Art repräsentiert. Die Familienkonstellationen zeichnen sich durch fehlende Mitglieder aus, deren Absenz sehr eng mit der Shoah zusammenhängt. Die unbearbeitete und nicht vermittelte Familiengeschichte verursacht eine defizitäre Gegenwart im Leben der Nach-Shoah-Generation. Ihre Suche nach Herkunft, eigener Identität sowie der entsprechenden Art des Gedenkens ist für die untersuchten Romane signifikant. Leere Stellen und Lücken sind jedoch auch auf der formalen Textebene zu finden. Die literarische Repräsentation der Shoah mittels Motive oder Andeutungen sowie der jeweilige Textaufbau und die Kapitelstruktur werden durch Lücken und – analog zum Konzept der Rezeptionsästhetik – durch Unbestimmtheitsstellen charakterisiert, die dem Leser gewissen Raum während der Interpretation bieten.
Im Mittelpunkt der Dissertation stehen deshalb folgende Fragen: Welche Arten der Leerstellen gibt es in der deutschsprachigen und tschechischen Literatur der zweiten und dritten Generation und wie werden sie auf der thematischen sowie formalen Ebene repräsentiert? Was verursachen die Leerstellen im Leben der Vertreter der Nach-Shoah-Generation und wie wird die Shoah über die bzw. trotz der Leerstelle, die die fehlenden Familienmitglieder darstellen, literarisch vergegenwärtigt? Wie setzen sich die zweite und dritte Generation mit diesen Leerstellen auseinander und welche Strategien wählen sie hierfür? Wie kommen die Leerstellen auf der Textebene zum Ausdruck und welche ästhetische Wirkung verursachen sie? Und schließlich: Unterscheidet sich die literarische Repräsentation der Leerstellen in den ausgewählten Texten der deutschsprachigen und tschechischen Gegenwartsliteratur oder verfügt sie transnational über ähnliche Tendenzen und Eigenschaften?
Götz Lachwitz
(Foto: UHH, RRZ/MCC, Mentz)
Verhandeln statt Zeigen. Prozesse der Erinnerung in Dokumentarfilmen über Verbrechen des Nationalsozialismus
Als typische Praktiken des Dokumentarfilms an ein bereits vergangenes Ereignis zu erinnern, lassen sich der Einsatz von Archivmaterial, das Interview mit Zeitzeugen und das Re-Enactment als Mittel der nachträglichen Imitation von Vergangenheit beschreiben. Ausgangsthese der geplanten Arbeit ist, dass diese Erinnerungspraktiken mit Verfahrensweisen einer Gerichtsverhandlung zur Rekonstruktion eines Tathergangs vergleichbar sind: Während einer Gerichtsverhandlung werden spezifische Tatkomplexe durch den Einsatz verschiedener Dokumente (Akten, Fotografien, Filmdokumente) und durch kommunikative Interaktion (Befragung von Angeklagten und Zeugen oder die erneute Einnahme bestimmter Rollen) rekonstruiert.
Dokumentarfilm und Gerichtsverhandlung teilen außerdem insbesondere in Bezug auf die Shoah die Schwierigkeit, eine Form für Ereignisse solch unvorstellbaren Ausmaßes finden zu müssen, dass jeglicher Versuch einer angemessenen Repräsentation oder Beurteilung von vorneherein aussichtlos erscheinen mag. Ich verstehe daher das Gericht als Modell, dass nicht nur die öffentliche Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Nationalsozialismus beeinflusst und wichtige Voraussetzungen auf dem Weg zu einer Erinnerungskultur geschaffen hat. Ich gehe davon aus, dass einige wichtige NS-Prozesse und deren filmische Repräsentation auch spezifische Praktiken dokumentarfilmischer Erinnerung geformt haben.
Der Zusammenhang zwischen Verfahrensweisen vor Gericht und spezifischen Erinnerungspraktiken des Dokumentarfilms lässt sich aber nicht nur in dokumentarischen Filmen und Fernsehsendungen aus den ersten zwanzig Jahren nach Ende des Zweiten Weltkrieges beobachten, die einige wichtige NS-Prozesse abbilden. Es gilt auch für Dokumentarfilme aus den letzten zwanzig Jahren, die sich in Bezug auf die Frage positionieren, wie die Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus gewährleistet werden kann, wenn keine an Personen gebundenen Erinnerung mehr möglich ist.
Ziel dieses Projektes ist eine vergleichende Beschreibung dieser Ästhetik dokumentarfilmischer Erinnerung unter Berücksichtigung kultureller und gesellschaftspolitischer Rahmenbedingungen.
Kontakt: goetz.lachwitz@posteo.de( goetz.lachwitz"AT"posteo.de)Thomas Merten
(Foto: UHH, RRZ/MCC, Mentz)
Zeitgenössische Repräsentationen der Shoah in Graphic Novels
Der Comic ist ein wichtiges Medium zur Repräsentation der Shoah, da es sich jeglichen Realitätsanspruchs entzieht und somit eine ganz eigene Herangehensweise zur Darstellung des als undarstellbar Geltenden anbietet. Wenn es um den Holocaust in grafischer Literatur geht, ist schnell die Rede von Art Spiegelmans „Maus“. Zurecht gilt sie als Beispiel seriöser, anspruchsvoller Comics. In der jüngsten Rezeptionsgeschichte kam es allerdings zu einer Idealisierung von „Maus“, die vor allem neue Werke ausblendet. Daher soll es Ziel meines Dissertationsprojekts sein, eine Einordnung der neueren Graphic Novels in die moderne Erinnerungskultur mit Comicdiskursen bis heute vorzunehmen. Es stellt sich die Frage, welche Rolle internationale Comics bei der Holocaust-Repräsentation spielen. Dabei zeigt sich, dass keine kosmopolitische Einheit entsteht, sondern der transnationale Erfahrungsraum vor allem durch Differenz, also Heterogenität, geprägt ist. Die schlägt sich in den sich immer weiter ausfächernden Thematiken und Darstellungsformen in Comics nieder, die sich nicht mehr nur auf die Wiedergabe (auto-)biographischer Geschichte beschränken. Zu den neueren Formen der Vergegenwärtigung zählen zum Beispiel auch fiktionale und autofiktionale Titel. Die Neuerscheinungen und ihr Experimentiercharakter korrespondieren mit den weiterhin changierenden Strategien zur Darstellung historischer Realität und deren Stellenwert, auch im Hinblick auf den Umgang der Postmemory-Generationen mit dem Thema. Diese Entwicklung innerhalb eines für die avancierte Erinnerungskultur immer spannender werdenden Mediums möchte ich im Rahmen meiner Dissertation erforschen.
Elisabeth Reda
(Foto: UHH, RRZ/MCC, Mentz)
Prismen der Erinnerung: Die Oper „Charlotte Salomon“ von Marc-André Dalbavie nach dem Bilderzyklus „Leben? oder Theater? – Ein Singespiel“
von Charlotte Salomon
In der Gegenwart von Globalisierung, Google und Debatten um das ‚Recht auf Vergessen‘, ebenso wie im Lichte der Gedenktage der 70-jährigen Befreiung von Auschwitz gewinnt (inter-)disziplinäre Erinnerungsforschung nach wie vor an Bedeutung. Wie Geschichte oder ganz konkret: die Shoah durch künstlerische Artefakte für ein Nachgedächtnis vergegenwärtigt werden kann, welche Rolle dabei Fragen nach Faktizität oder Fiktionalität spielen und welche (post)nationalen Narrative dem zu Grunde liegen, möchte ich in meiner Dissertation anhand der Oper „Charlotte Salomon“ des französischen Komponisten Marc-André Dalbavie von 2014 zeigen, die auf dem intermedialen Bilderzyklus „Leben? oder Theater? – Ein Singespiel“ der deutsch-jüdischen Künstlerin Charlotte Salomon von 1940-42 basiert.
Den Künsten bzw. den künstlerischen Prozessen kommt als Erinnerungsmedium eine besondere Bedeutung zu, da gerade ihre Multimedialität ein vielseitiges Bild von Vergangenheit und Geschichte zeichnet. Mit Blick auf die Gegenstände meiner Dissertation möchte ich weniger Fragen nach Falschheit oder Wahrheit einer Erinnerung oder ihrer Repräsentation stellen, als vielmehr Fragen nach dem „Wie“ aufwerfen. Wie wird etwas erinnert? Wer erinnert? Was wird erinnert? Wann wird erinnert? Welche Medien werden zur Vergegenwärtigung und Aneignung gewählt und welche Möglichkeiten liegen ihnen zu Grunde?
Vor dem Hintergrund, dass es sich bei der Oper „Charlotte Salomon“ um eine transnationale Produktion handelt, sind für mich die Berücksichtigung nationaler Identitäten und ihrer bisweilen unterschiedlichen Erinnerungsmodi bis hin zu Fragen nach einem transnationalen Holocaustgedächtnis unumgänglich. Basierend auf der Annahme, dass der Mensch seine Identität durch Narrativität sowie durch Aneignung der Vergangenheit festigt, möchte ich untersuchen, welchen Narrativen Charlotte Salomon und Marc-André Dalbavie folgen und wie diese künstlerisch verarbeitet werden. Das starke (auto-)biographische Moment der Gegenstände und das Singen, das in „Leben? oder Theater?“ die Musik zum Erinnerungsmedium macht, stehen neben der Transformation von Geschichte und Trauma in Kunst bzw. durch Kunst im Mittelpunkt meines Interesses.
Gregor J. Rehmer
(Foto: UHH, RRZ/MCC, Mentz)
Shoah-Literatur in der dritten Generation: Eine poetologische Definition am Beispiel von ausgewählten deutschen und US-amerikanischen Romanen.
Nachdem sich die literaturwissenschaftliche Holocaust-Forschung lange Zeit mit den Texten einer „ersten“ sowie „zweiten Generation“ beschäftigt hat, nimmt sie mittlerweile vermehrt die „dritte Generation“ in den Fokus. Eine entsprechende Zuordnung der Texte erfolgt dabei in der Regel über die generationelle Zugehörigkeit der AutorInnen; einheitliche Kriterien hierfür existieren jedoch nicht. Gerade im Falle einer „dritten Generation“ erscheint es sinnvoller, die generationelle Zuordnung nicht über die AutorInnen, sondern über einen bestimmten Zugang zum Schreiben über die Shoah zu definieren.
Ausgehend von der Frage, wie in ausgewählten aktuellen deutschen und US-amerikanischen Romanen die Shoah literarische verhandelt wird, soll in dem Dissertationsprojekt eine poetologische Definition der dritten Generation entwickelt werden. Die Thematisierung von „Erfahrung“, „Authentizität“ und „Erinnerung“ wird dabei als Kategorie herangezogen, um eine generationelle Zuordnung der Texte vorzunehmen.
Magdalena Saiger (Assoziiertes Mitglied)
Über die Wanderungsbewegungen eines Ortes: Das Gelände der Alten Messe („Staro Sajmište“) in Belgrad
Anhand einer Untersuchung der baulichen Gestalt, der lebensweltlichen Vereinnahmung(en), der machtpolitischen Einflussnahme sowie der Reichweite der Diskurse, in denen der Ort und seine Räume eine Rolle spielen, soll nachvollzogen werden, auf welchen kulturellen, macht- und erinnerungspolitischen „Landkarten“ der Ort auftaucht und welche Position er dort jeweils einnimmt.
Die Arbeit untersucht die Verortungen und Wanderungsbewegungen von „Staro Sajmište“ zwischen städtischem Knotenpunkt und Peripherie, zwischen (Macht-)Zentrum und baurechtlicher Grauzone, zwischen Metropole und Dorf, zwischen dem Gestus einer modernistischen (Welt-)Ausstellungsarchitektur und dem Gewaltraum des Konzentrationslagers, auch zwischen Erinnerung und Vergessenheit.
Eine Herausforderung stellt die Suche nach einem Narrativ dar, das von den Gegebenheiten des Ortes und der in ihm enthaltenen Räume ausgeht und eine Erzählform für dieses Ineinander findet, die sich von einer Priorisierung der zeitlichen Darstellung vor der räumlichen löst und historiographische Ansätze einer „Augenarbeit“ im Sinne Karl Schlögels mit dem raumsoziologischen Modell Martina Löws zusammendenkt.
Kontakt: magdalena.saiger@posteo.de( magdalena.saiger"AT"posteo.de)
Johannes Scharr (Assoziiertes Mitglied)
„Europäische Erinnerungskulturen im Spiegelbild des Schulbuchs - die schulische Auseinandersetzung mit dem Holocaust in Nordwesteuropa seit 1945"
Seit mehreren Jahrzehnten sind Tendenzen zu beobachten, aus der Vielfalt nationaler Vergangenheitsdeutungen transnationale, europäische Geschichtsbilder zu formen; dies gilt auch bzgl. schulischer Kontexte. Deutlichste Ausprägungen dieser Tendenz waren bisher Vorschläge, gemeinsame europäische Schulgeschichtsbücher einzuführen (Schavan 2007). Die Etablierung eines einheitlichen "EU-Schulgeschichtsbuchs" scheint allerdings sowohl politisch wie praktisch zumindest langwierig und schwierig. Hingegen finden sich aber auch Indizien dafür, dass sich europäische Schulbücher bereits seit einigen Jahren quasi „bottom up“ einander anpassen. Um derartige Assimilierungstendenzen innerhalb von Schulbüchern präziser beurteilen zu können, soll die wissenschaftliche Untersuchung die Entwicklung der schulischen Auseinandersetzung mit dem Thema Holocaust in verschiedenen westeuropäischen Nationen, für sich betrachtet und im Verhältnis zueinander, aufzeigen. Mit Methoden der Schulbuchforschung wird untersucht, wie sich die nationale, inhaltliche, didaktisch-pädagogische und gestalterische Aufarbeitung des Holocausts in England, Schweden, Dänemark und Deutschland (West) in Schulbüchern und Curricula seit 1945 verändert hat und inwiefern sich Europäisierungsprozesse beschreiben lassen.
Kontakt: j.scharr"AT"gmx.de
Noga Stiassny
(Foto: UHH, RRZ/MCC, Mentz)
The Artscapes of the Holocaust
Comparative Perspective on Figurative Representations of the Places of the Holocaust in Contemporary Israeli Artworks
Supervisors: Prof. Petra Lange-Berndt and Prof. Rob van der Laarse
The project examines different artistic practices that are employed on the images and materials of the former geographic places of the Holocaust within the Israeli art, all in order to test the ways in which the artistic field functions as an agent in dealing with curating past catastrophes in our visual present.
Inspired by Prof. Rob van der Laarse's work regarding the ways these past places of terror and violence, these terrorscapes, are functioning, remembered, forgotten, or manipulated, as well as commodified, institutionalized, canonized and commemorated from both private and national/universal levels, the research pursues an interdisciplinary approach that includes scholarly work informed from the disciplines of art as well as from trauma, (visual) history, culture, heritage and memory studies.
Contact: nogi365"AT"gmail.com
Izabela Suszczyńska
(Foto: UHH, RRZ/MCC, Mentz)
Die Shoah im Familiengedächtnis. Postkatastrophische Narrative in der polnisch- und deutschsprachigen Literatur nach 2000.
Seit dem Jahr 2000 gibt es in der polnischen Literatur über die Shoah eine neue Tendenz, welche die Marginalisierungs- bzw. Verschweigensphase der historischen Ereignisse beendet und dem von Bartłomiej Krupa als Interiorisierung der Shoah („interioryzacja Zagłady“) genannten Phänomen nachfolgt. Die Versuche, das Thema in der polnischen Geschichte und im öffentlichen Bewusstsein zu vergegenwärtigen, beeinflussten eine Vielfalt der später entstandenen literarischen Texten, u. a. im Hinblick auf das Interesse für die transgenerationell übertragene Erinnerung innerhalb einer Familie, auf die Traumatisierung der Nachgeborenen, Identitätsfragen und die Bedeutung der Erinnerungsorte für das Familiengedächtnis. Die Vielfalt der Herangehensweise an die Shoah wird im Textkorpus, das in meiner Dissertation analysiert wird, sichtbar. Angesichts des Zeitzeugenverlusts tritt die Zukunft der Erinnerung an die Shoah in den Vordergrund. Aufgrund der geschichtlichen Ereignisse und der unterschiedlichen Entwicklung der Tendenzen der Literatur über die Shoah ist der Vergleich der Darstellung und der Rezeption der Shoah in der polnisch- und deutschsprachigen Literatur durch die zweite und dritte Generation von großem Interesse. Die Grundlage der Untersuchung bilden Texte, die sich mit der Last der (Nach)Erinnerung, mit deren transgenerationellen Übertragung und der Rolle des Familiengedächtnisses befassen. Untersucht wird die literarische Auseinandersetzung mit der postkatastrophischen Situation in der Familiengemeinschaft der Überlebenden und die Funktionen der post-memorialen Vergegenwärtigung des Genozids in literarischen Texten. Fragen, ob es generationsspezifische Strategien und ästhetische Formen gibt, die durch die Nach-Generationen ausgewählt werden, um die geschichtlichen Erfahrungen der Eltern bzw. Großeltern zu vergegenwärtigen und eigene Traumatisierung zu schildern, sind in der Arbeit leitend.
Xin Tong
(Foto: UHH, RRZ/MCC, Mentz)
Arbeitstitel: Transmedia remembering: Fallstudie des Shanghaier Exils (1933-1949) in deutschen und chinesischen Medien seit 1989
Das medienwissenschaftliche Dissertationsprojekt wirft seinen Blick auf die Erinnerungskulturen in den heutzutage immer wieder neuen Medienkonstellationen, wobei systematische und fortlaufende Transformation von medialen Bearbeitungen der Vergangenheit entsteht. Um den medialen Umgang mit Erinnerung in einer avancierten Medienkultur näher zu betrachten, versucht die Dissertation die Erinnerungskulturen aus einer transmedialen Perspektive zu begreifen und zu beschreiben. In Analogie des theoretischen Ansatzes „transmedia storytelling“ vom amerikanischen Medienforscher Henry Jenkins wird das Konzept von „transmedia remembering“ entwickelt. Die Forschungsgegenstände sind Darstellungen über das Exil in Shanghai (1933-1949) auf verschiedenen deutschen und chinesischen Medienplattformen nach 1989. Dabei wird einerseits analysiert, wie das Einzelmedium (Literatur, Film, Museum und digitale Medien) dazu Beitrag leistet, die verschiedenen Geschichten über die Vergangenheit zu entfalten und eine komplette Welt des Shanghaier Exils zu bilden. Andererseits ist zu überprüfen, inwiefern solche Medien in einer Konvergenzkultur miteinander übereinstimmen und wie sie ihre plattformübergreifenden Nutzungsformen generieren. Zudem wird der Shanghaier Exil über die kulturellen Grenzen hinweg berücksichtigt, wie die transmedialen Erinnerungskulturen, die durch unterschiedliche politische, ökonomische und ästhetische Faktoren geprägt sind und zugleich auf die jeweiligen nationalen Identitäten zurückwirken, in beiden Ländern miteinander in Wechselbeziehung stehen.
Kontakt: tongxin.flora"AT"gmail.com
Anna Larissa Walter
(Foto: UHH, RRZ/MCC, Mentz)
Kindheit(en):
Narrative der Shoah in den französischsprachigen Gegenwartsliteraturen
Ausgehend von der Feststellung, dass sowohl retrospektive Erzählungen über Kindheit, als auch literarische Repräsentationen der Shoah Leerstellen inhärent sind, befasst sich das Dissertationsprojekt mit Vergegenwärtigungen der Shoah im Spiegel der Darstellung von Kindheit. Im Zentrum steht die Frage, inwieweit Erzählen über die Shoah Parallelen zum Erzählen über Kindheit aufweist und ob sich Besonderheiten in der Darstellung ergeben, dort wo es um erinnerte Kindheit(en) im Kontext der Shoah geht. Gegenstand der Untersuchung sind intermedial erzählende Werke aus dem französischsprachigen europäischen Kontext nach 1990 – Frankreich und Belgien –, in denen aus der Perspektive der versteckten Kinder (enfants cachés), sowie der Kinder und Enkelkinder von Überlebenden die Shoah thematisiert wird.
Kontakt: anna.larissa.walter@uni-hamburg.de( anna.larissa.walter"AT"uni-hamburg.de)